Zur Tierhalterhaftung bei Verletzung durch eines von mehreren Pferden

OLG Koblenz, Urteil vom 10.05.2012 – 2 U 573/09

1. Wird eine Person beim Überqueren einer Weide, auf welcher sich vier seit längerer Zeit als Herde zusammengefasste Pferde befinden, durch (mindestens) eines der Pferde verletzt, ohne dass aufklärbar ist, welches der Pferde die Verletzung herbeigeführt hat, greift für sämtliche Pferde die Gefährdungshaftung des Tierhalters (§§ 833 Satz 1, 830 Abs. 1 Satz 2 BGB).(Rn.19)

2. Überquert ein Pferdehalter mittig eine Weide, auf der sich ausschließlich fremde Pferde befinden, verzichtet er bewusst auf jegliche Vorsichtsmaßnahmen, die man von einem erfahrenen Pferdehalter erwarten darf. Realisiert sich in einer solchen bewusst herbeigeführten Gefährdungssituation dann die von den Tieren ausgehende tiertypische Gefahr, kann sich der Geschädigte nicht mehr auf die grundsätzliche Gefährdungshaftung des Tierhalters berufen, sondern muss sich an seinem eigenen, für das Schadensereignis vorrangig prägenden Verursachungsbeitrag festhalten lassen.(Rn.22)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 03.04.2009, Az. 5 O 486/05, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Koblenz sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe
1
A.Am 8.9.2003 erlitt der Kläger auf einer Weide des Reiterhofs „…[A]“ erhebliche Verletzungen, unter anderem eine Luxationsfraktur HWK 6/7 mit inkompletter Querschnittssymptomatik, eine Fibulaköpfchenfraktur, eine extraartikuläre Skapulafraktur sowie multiple Weichteilverletzungen. Zu diesem Zeitpunkt war er seit über 20 Jahren Pferdehalter und hatte sein aktuelles Pferd „Frederiko“ für die Sommermonate auf dem „…[A]“ untergestellt. Inhaberin des „…[A]s“ war damals die Beklagte zu 1).

2
Am Unfalltag erschien der Kläger auf dem „…[A]“, um zu seinem Pferd auf einem abgetrennten Teil im hinteren Bereich der Weide zu gehen. Der kürzeste Weg zu diesem Teil der Weide verlief über einen anderen abgetrennten Teil der Weide, auf welchem sich insgesamt vier Pferde (darunter ein Pony) befanden. Diese vier Pferde wurden bereits seit längerer Zeit zusammen gehalten. Halter jeweils eines dieser vier Pferde waren die Beklagten zu 1) bis 4). Mitten auf dem von den vier Pferden beweideten Teil der Wiese wurde der schwer verletzte Kläger später aufgefunden. Er selbst verfügt über (nahezu) keine Erinnerungen an das Unfallereignis; Augenzeugen des eigentlichen Unfallereignisses konnten nicht ermittelt werden.

3
Die Parteien haben erstinstanzlich im Wesentlichen darüber gestritten, inwieweit die gemeinsame Haltung der vier Pferde fehlerhaft war, und ob das mittige Überqueren der Weide ein so erhebliches Mitverschulden des Klägers begründe, dass dahinter die Haftung der Tierhalter und -aufseher zurücktrete.

4
Das Landgericht hat durch die angefochtene Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, die auf Zahlung von 110.644,49 € zuzüglich eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 150,– € nebst Feststellung einer Schadenersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Die Beklagte zu 3) sei nicht Halterin des ihr zugeordneten Ponys. Hinsichtlich der übrigen Beklagten unterfalle der vorliegende Sachverhalt nicht § 833 BGB. Dessen Schutzzweck sei nach der Rechtsprechung des BGH nicht eröffnet, wenn der Geschädigte selbst in der Lage sei, die Maßnahmen zu ergreifen, die seinen bestmöglichen Schutz gewährleisten und sein eigenes Interesse im Verhältnis zum Tierhalter den Gesichtspunkt aufwiege, dass dieser den Nutzen des Tieres habe. Hier hätte der Kläger ohne weiteres auf der anderen Seite des Zauns zu seinem Pferd gelangen können, so dass überhaupt kein Grund bestanden habe, den Weg über die Weide mit der Herde zu nehmen. Im Rahmen eines Ortstermins habe sich zudem gezeigt, dass die Sicht des Klägers nicht durch Büsche oder wegen eines leichten Anstiegs beeinträchtigt gewesen sei. Der Kläger habe demnach selbst die beste Möglichkeit gehabt, sich vor den von der Herde ausgehenden Gefahren zu schützen. Selbst wenn man den Schutzzweck der Norm weiterreichen lasse, treffe ihn ein derartig hohes Maß an Mitverschulden, dass die typische Tiergefahr als Unfallursache dahinter völlig zurücktrete. Der Kläger habe – trotz seiner Kenntnisse als langjähriger Reiter und Pferdehalter – ohne Notwendigkeit die Weide betreten und sich erst dadurch der Gefahr einer Verletzung durch die Tiere ausgesetzt. Dabei habe ihm bewusst sein müssen, dass ihn die Herde als Eindringling wahrnehmen konnte. Aus denselben Gründen scheitere auch eine vertragliche Haftung der Beklagten zu 1).

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Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner – im Hinblick auf den Beklagten zu 5) auf Empfehlung des Senats zurückgenommenen – Berufung, mit der er – nachdem er von einem ursprünglichen Erweiterungsvorbehalt in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht hat – beantragt,

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das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 3.4.2009 wie folgt abzuändern:

7
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1/10 des angemessenen Schmerzensgeldes zu zahlen, dessen (Gesamt-)Höhe unverändert in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird (mindestens 50.000 €) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.12.2004 sowie

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2. an den Kläger eine monatliche Schmerzensgeldrente von 15 € zu zahlen, ab dem 1.10.2005 zahlbar jeweils vierteljährlich im Voraus, und zwar zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. eines jeden Jahres, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die Rückstände, erstmals seit 2.10.2005 und infolge jeweils seit dem 2. eines jeden weiteren Vierteljahres, ferner,

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3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 8.9.2003 auf dem Anwesen „…[A]“ in …[X] zu 1/10 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen sind und

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4. an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 229,26 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit dieses Antrages,

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hilfsweise die Beklagte zu 1) zu verurteilen, die Kosten zu tragen, die dem Kläger dadurch entstehen, dass die Klage gegenüber dem Beklagten zu 5) auf seine Kosten abgewiesen worden ist und die Berufung zurückgenommen werden musste, nachdem der Senat mit Hinweisbeschluss vom 14.6.2010 angekündigt hat, insoweit die Berufung zurückzuweisen.

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Der Kläger beruft sich darauf, das Landgericht habe verkannt, dass die Passivlegitimation der Beklagten zu 3) erstinstanzlich zugestanden gewesen sei. Insbesondere habe das Landgericht verkannt, dass er nicht mit dem Schadensereignis habe rechnen müssen. Weder er noch seine ebenfalls seit mehr als 20 Jahren reitenden Töchter noch die Beklagten oder sonstigen hier benannten Zeugen hätten jemals etwas Vergleichbares erlebt. Dies gewinne besonders Gewicht, da er im Laufe seines reiterlichen Lebens mehr als tausend Mal Weiden überquert habe, auf denen sich (fremde) Pferde befunden hätten. So habe auch die Beklagte zu 1) keinen Anlass gesehen, ihn vor Überqueren der Weide zu warnen. Ihm könne daher kein einseitiger Schuldvorwurf gemacht werden. Der Schutzzweck des § 833 BGB erfasse gerade den hier gegebenen Fall, dass sich ein Tier unerwartet anders verhalte als normal und voraussehbar und hierdurch ein Schaden entstehe; dies sei der typische Fall des Gefährdungshaftungstatbestandes. Dieser Gefährdungshaftungstatbestand umfasse auch das Herdenverhalten der hier in Rede stehenden vier Pferde. Auch habe das Landgericht nicht ohne Hinzuziehung sachverständiger Hilfe ein überragendes eigenes (Mit-)Verschulden annehmen dürfen, da das schädigende Verhalten für die Tiere gerade untypisch gewesen sei. Einen Erfahrungssatz, dass er mit einer Attacke der Pferde habe rechnen müssen, gebe es gerade nicht. Allein aus dem tatsächlichen Schadenseintritt habe das Landgericht nicht einen derartigen Rückschluss ziehen dürfen. Auch die Gefährdungshaftung der Beklagten zu 1) als Tierhüterin habe das Landgericht verkannt. Sowohl potentielle Rivalitäten innerhalb der Herde wie auch eine Unruhe der Herde aufgrund der Festveranstaltung des Vorabends hätten ein – gegenüber ihm – überlegenes Sachwissen der Beklagten zu 1) zur Folge gehabt, so dass diese ihn vor Überquerung der Weide hätte warnen müssen. Im Rahmen ihrer vertraglichen Haftung sei der allgemeine Pflichtenkreis der Beklagten zu 1) sogar noch gesteigert gewesen. Der Hilfsantrag beruhe darauf, dass die Beklagte zu 1) ihn hinsichtlich der Eigenschaft des Beklagten zu 5) als Pferdehalter falsch informiert habe.

13
Die Beklagten, die Zurückweisung der Berufung beantragen, verteidigen das erstinstanzliche Urteil unter Hinweis darauf, dass bereits aufgrund der fehlenden Erinnerungen des Klägers der Hergang des Schadensereignisses nicht mehr rekonstruierbar sei. Der Kläger habe auf eigenes Risiko gehandelt, indem er die Weide überquert habe. Als erfahrenem Reiter habe ihm bewusst sein müssen, dass auch handzahme und friedliche Pferde unberechenbar seien. Er habe den allgemeinen Erfahrungssatz ignoriert, dass sich niemand auf einer Koppel in der Nähe einer freilaufenden Herde aufhalten dürfe.

14
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens nebst Ergänzungsgutachten der Sachverständigen Dr. …[B] sowie deren mündlicher Anhörung. Auf die Ausführungen der Sachverständigen im Rahmen ihres schriftlichen Gutachtens (Bl. 921 –924 d.A.), ihres Ergänzungsgutachtens (Bl. 1010 –1013 d.A.) sowie das Sitzungsprotokoll vom 5.4.2012 (Bl. 1127 –1131 d.A.) wird Bezug genommen.

15
Hinsichtlich des Vorbringens im übrigen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Erklärungen anlässlich der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

16
B.Die insgesamt (vgl. zum Hilfsantrag: BGH, NJW 1994, 944) zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Dem Kläger stehen zwar grundsätzlich gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldnern deliktsrechtliche Ansprüche nach §§ 833, 834, 830, 840 BGB zu. Er muss sich jedoch ein eigenes Mitverschulden in solch erheblicher Höhe anrechnen lassen, dass hierhinter die Gefährdungshaftung der Beklagten vollständig zurücktritt.

17
I.Die Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB liegen hinsichtlich der verbliebenen Berufungsbeklagten vor. Alle vier Beklagten sind jeweils Halter eines Pferdes, das zu der auf der „Unfallweide“ gehaltenen Herde gehörte. Die Beklagte zu 3) hat erstinstanzlich in ihrer Klageerwiderung, aber auch in späteren Schriftsätzen vom 31.1.2006 sowie 22.2.2006 unstreitig gestellt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Shetlandpony um ihr „Pferd“ handele, und auch auf dieser Basis am 19.1.2007 verhandelt und Klageabweisung beantragt. An diesem gerichtlichen Geständnis ihrer eigenen Haltereigenschaft muss sie sich festhalten lassen, selbst wenn ihr späterer Vortrag, dass ihr Ehemann zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses Halter gewesen sei, zutreffend sein sollte.

18
Die Exkulpationsmöglichkeit des § 833 Satz 2 BGB ist für keine der Beklagten eröffnet. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) bis 4) steht der „Luxuscharakter“ der Pferde außer Frage, aber auch die Beklagte zu 1) hatte nach ihren eigenen Angaben das berufliche Betreiben des Reiterhofes bereits ab 1998 aufgegeben und hielt auf dem „…[A]“ nur noch hobbymäßig eigene Pferde. Im Jahr 2003 unterfiel damit auch das beteiligte Pferd der Beklagten zu 1) nicht (mehr) der Privilegierung des § 833 Satz 2 BGB.

19
Vor dem Hintergrund, dass der genaue Hergang des schädigenden Ereignisses nicht mehr aufklärbar ist, können sich die Beklagten auch nicht darauf berufen, dass damit nicht nachweisbar sei, dass ihr jeweiliges Pferd an der Schädigung des Klägers mitgewirkt habe. Zugunsten des Klägers greift hier nämlich § 830 BGB. So hat § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB die Überwindung einer Beweisschwierigkeit des Geschädigten zum Ziel, dessen Ersatzanspruch nicht daran scheitern soll, dass nicht mit voller Sicherheit festgestellt werden kann, wer von mehreren beteiligten Tätern, deren Handlungen jede für sich geeignet war, den Schaden zu verursachen, der eigentliche Schädiger gewesen ist. Dieser Schutzzweck erfasst auch die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB. Wie der zu beurteilende Sachverhalt zeigt, können im Rahmen dieser Bestimmung, weil der Geschädigte nicht festzustellen vermag, welches von mehreren Tieren den Schaden herbeigeführt hat, die gleichen Beweisschwierigkeiten auftreten, deren Behebung die Norm des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dient. Auch in den Fällen der Tierhalterhaftung ist es daher gerechter, alle haften zu lassen, die sich an der gemeinsamen Gefährdung in einer ihre Haftung begründenden Weise beteiligt haben, als den Geschädigten leer ausgehen zu lassen (vgl. BGHZ 55, 96).

20
Der Senat ist auch in seiner aktuellen Besetzung – insoweit wird ausdrücklich und auch in der Begründung an dem Hinweisbeschluss vom 14.6.2010 festgehalten – davon überzeugt, dass die Verletzungen des Klägers beim Überqueren der Koppel durch eines oder mehrere der dort befindlichen Pferde verursacht worden sind. Welches der Pferde den Kläger tatsächlich getroffen hat, ist indes nicht mehr aufklärbar. Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist dabei aber davon auszugehen, dass die vier seit längerer Zeit in der Herde zusammengefassten Pferde alles gemeinsam gemacht haben. Eine Variante, dass eines der Pferde abseits stand und daher sicher als „Täter“ ausgeschlossen werden kann, kommt danach nicht in Betracht. Vielmehr hat die Sachverständige im Rahmen ihrer Anhörung in den Senat vollständig überzeugender Weise dargelegt, sie möchte – für den hier anzunehmenden Fall einer schnellen Annäherung der Pferde an den Kläger – „ausschließen, dass eines oder mehrere der Pferde sich daran nicht beteiligt haben und zurückgeblieben sind“ oder „nur eines der Pferde losgaloppiert ist und die anderen zurückgeblieben sind. Je schneller die Bewegung eines Pferdes ist, desto größer der Reiz für die anderen, mitzuziehen.“ In tatsächlicher Hinsicht ist daher davon auszugehen, dass die Herde geschlossen in die Richtung des die Weide kreuzenden Klägers galoppiert ist, so dass alle vier Pferde an jenem Ereignis „beteiligt“ waren, welches zur Schädigung des Klägers geführt hat. Da anhand der Unfallspuren nicht mehr ermittelbar ist, welche/s Pferd/e den Kläger letztlich getroffen hat/haben, greift über § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB die Haftungserstreckung auf alle beteiligten Pferdehalter.

21
Entgegen der Auffassung des Landgerichts unterfällt das hiesige Schadensereignis auch dem Schutzzweck des § 833 BGB. Die vom Bundesgerichtshof in der vom Landgericht herangezogenen Entscheidung (NJW 1974, 234) vorgenommene Einschränkung betraf einen Fall, in welchem der Geschädigte bewusst – als Reiter eines erkanntermaßen schwierigen fremden Pferdes – die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf das Tier übernommen hatte. In einer späteren Entscheidung (NJW 1992, 907) hat der Bundesgerichtshof dann für die im Rahmen einer Fuchsjagd durch ein nicht von ihr gerittenes Pferd geschädigte Teilnehmerin den Anwendungsbereich des § 833 BGB für eröffnet angesehen, obwohl sich die Geschädigte auch hier einer besonderen Gefahr ausgesetzt habe. Nur in einem – hier nicht gegebenen – Ausnahmefall kann daher der Schutzzweck des § 833 BGB als nicht eröffnet angesehen werden.

22
Das Landgericht hat seine Klageabweisung aber zurecht ergänzend darauf gestützt, dass den Kläger ein derartig hohes Maß an Mitverschulden treffe, dass die typische Tiergefahr als Unfallursache dahinter völlig zurücktrete. Der zum Schaden führende Verursachungsbeitrag des Klägers liegt darin, dass er den abgetrennten Teil der Weide, auf welchem sich die fremde Herde befand, ohne erforderliche Sicherungsmaßnahmen überquert hat, obwohl ihm als erfahrenem Reiter die erhebliche hiermit verbundene Gefährdung bewusst sein musste.

23
So hat die gerichtliche Sachverständige im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung – und auch insoweit folgt der Senat deren schlüssigen und von überzeugender Sachkunde getragenen Ausführungen – deutlich gemacht, dass sie niemals über eine Weide gehen würde, auf der Pferde stehen, die sie nicht kenne (wobei ein Kennen vom Vorübergehen nicht ausreichend sei, solange man nichts über deren Verhalten gegenüber Menschen und deren Temperament wisse), weil man das Verhalten und die Reaktionen fremder Pferde nicht einschätzen könne. Diese Vorsicht beruhe auch auf privaten Erfahrungen, die jeder andere langjährige Pferdehalter ebenfalls haben müsste. Durch die mittige Überquerung der Weide hat der Kläger somit bewusst auf jegliche Vorsichtsmaßnahmen verzichtet, die man von einem erfahrenen Pferdehalter erwarten durfte. Realisiert sich in einer solchen bewusst herbeigeführten Gefährdungssituation dann die von den Tieren ausgehende tiertypische Gefahr, kann sich der Geschädigte nicht mehr auf die grundsätzliche Gefährdungshaftung des Tierhalters berufen, sondern muss sich an seinem eigenen, für das Schadensereignis vorrangig prägenden Verursachungsbeitrag festhalten lassen.

24
Der Senat hat dabei nicht verkannt, dass die beiden vom Kläger zur Akte gereichten privatgutachterlichen Stellungnahmen für ihn günstigere Gesichtspunkte betont haben. Der Gutachter …[C] hat sich dabei zwar nur mit dem hier nicht gegebenen Fall befasst, dass ein Pferdebesitzer sein Pferd von einer Weide holt, auf der sich auch fremde Pferde befinden. Insoweit hat die gerichtliche Sachverständige jedoch deutlich gemacht, dass das Passieren einer fremden Weide in Pensionstierhaltungen üblich, aber nur bei aufmerksamer Beobachtung der dort befindlichen Tiere (Bl. 924 d.A.) und nur mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen (nahes Gehen am Zaun, Mitnahme einer Gerte etc., vgl. Bl. 1012 d.A.) angezeigt sei. Auch die Gutachterin …[D] hat in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass es üblich sei, sein Pferd selbst von der Weide zu holen. Mit den Besonderheiten des hiesigen Falles – der mittigen Überquerung einer fremden Weide ohne besondere Sicherungsvorkehrungen – befasst sich indes auch diese Stellungnahme nicht. Der Senat sieht danach keinen Anlass, an der Richtigkeit der Einschätzung der Sachverständigen …[B] zu den gebotenen Vorsichtsmaßnahmen zu zweifeln.

25
Allein der Umstand, dass auch andere Pferdehalter „gedankenlos“ eine fremde Weide betreten und gerade „Routine und Gewohnheit im Umgang mit dem Pferd ein erhöhtes Unfallrisiko“ (so die gerichtliche Gutachterin, Bl. 1012 d.A.) nach sich ziehen, entschuldigt das massive Fehlverhalten des Klägers nicht. Diese relativ weit verbreiteten Nachlässigkeiten werden nach dem Eindruck, den der Senat aus den verschiedenen gutachterlichen Stellungnahmen gezogen hat, dadurch begünstigt, dass Pferde grundsätzlich Fluchttiere sind und daher regelmäßig sich von einem die Weide betretenden Fremden abwenden, so dass es nur in seltenen Ausnahmefällen – wie hier – zu einem Unfall kommt. Die Seltenheit von Schadensereignissen als solche rechtfertigt aber nicht, den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab für das Überqueren einer fremden Weide (vgl. oben: Passieren einer fremden Weide nur bei aufmerksamer Beobachtung der dort befindlichen Tiere und nur mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen) zu reduzieren. Diesen Sorgfaltsmaßstab hat der Kläger in so gravierender Weise missachtet, dass sein Mitverschulden nach § 254 BGB mit 100 % in Ansatz zu bringen ist.

26
II.Aus denselben Gründen führt auch eine Haftung der Beklagten zu 1) nach § 834 BGB nicht zum Erfolg, da sich der Kläger auch hier ein 100 %-iges Mitverschulden anrechnen lassen muss. Soweit der Kläger der Beklagten zu 1) ergänzend vorwirft, ihren Pflichten als Tieraufseherin nicht nachgekommen zu sein, indem sie fehlerhaft vier Tiere gemeinsam auf die Weide gestellt habe, ist der Beklagten zu 1) der Entlastungsbeweis nach § 834 Satz 2 BGB gelungen. So hat die gerichtliche Sachverständige bestätigt, dass eine gemeinsame Haltung in Gruppen von 2 bis 20 Pferden am ehesten deren Bedürfnissen gerecht werde. Eine aus vier Tieren bestehende Herde kann damit also gerade nicht als fehlerhaft angesehen werden. Einer Klärung, in Bezug auf welche Pferde die Beklagte zu 1) überhaupt als Tieraufseherin im Sinne des § 834 BGB anzusehen war, bedarf es danach nicht.

27
Inwieweit die Beklagte zu 1) möglicherweise auch einer vertraglichen Haftung im Hinblick auf einen klägerseits behaupteten Vertrag über die Einstellung des Pferdes des Klägers im „…[A]“ unterliegen könnte, bedarf ebenfalls keiner abschließenden Klärung. Eine gesonderte Warnung des Klägers durch die Beklagte zu 1) vor Betreten der Weide war im Hinblick auf die – nach den Feststellungen des Landgerichts – überschaubaren Örtlichkeiten und die Person des Klägers als erfahrenem Reiter nicht veranlasst. Im übrigen müsste sich der Kläger auch gegenüber einer möglichen vertraglichen Haftung ein so weit überwiegendes eigenes Mitverschulden anrechnen lassen, dass das eventuelle Verschulden der Beklagten zu 1) vollständig verdrängt würde.

28
Der zweitinstanzlich erhobene Hilfsantrag des Klägers bleibt in der Sache ebenfalls ohne Erfolg. Selbst unter Zugrundelegung seines – bestrittenen – Vortrags, dass die Einstellung seines Pferdes bei der Beklagten zu 1) auf vertraglicher Grundlage erfolgt sei und die Beklagte zu 1) ihm mitgeteilt habe, dass auch der Beklagte zu 5) neben der Beklagten zu 4) Halter des vierten zur Herde zählenden Pferdes gewesen sei, ist keine Verletzung vertraglicher Pflichten durch die Beklagte zu 1) ersichtlich. Die Mitteilung der Halterschaft bildete nämlich eine schlichte Wissenserklärung ohne rechtsverbindlichen Charakter, so dass eine eventuelle Falschmitteilung keine vertraglich begründete Haftung nach sich ziehen kann.

29
III.Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

30
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

31
Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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